Bruno Kaufmann – Understatement der Könnerschaft

Vorwort zum Ausstellungskatalog "Facts – Flächen - Schichten - Strukturen. Bruno Kaufmann (FL)"

Vorwort zum Ausstellungskatalog "Facts - Flächen - Schichten - Strukturen. Bruno Kaufmann (FL)"

 veröffentlicht am 6. März 2010 im Notiz-Blog auf www.medienpaedagogik.ch

 


Faszination des dritten F

 

 

Wenn man im Zusammenhang mit Medien von den zwei F spricht, denkt man spontan an Film und Fernsehen. Mit einiger Verzögerung gesellt sich dann die Fotografie dazu, Verzögerung wohl deshalb, weil man sie bis in die jüngste Zeit vorzugsweise mit Ph schrieb: Photographie. Just aber dieses dritte und (orthographisch) jüngste F trifft indes auf Bruno Kaufmann eminent zu. Nicht nur hinsichtlich seiner herausragenden fotografischen Arbeiten als Künstler, sondern auch weil er nach seinen Studien- und Ausbildungsjahren an der Universität Zürich und der Hochschule für Bildende Künste in Berlin beruflich auch über längere Zeit erfolgreich in der Produktefotografie tätig war.

 

Sobald aber in der Kunst von zwei F die Rede ist, stellen sich im Geiste spontan die beiden Begriffe Form und Farbe ein, – so zwingend, dass sich einst eine berühmt gewordene revolutionäre Abspaltung der früheren Zürcher Kunstgewerbeschule (heute Hochschule für Kunst) F+F nannte, eben: Form und Farbe, fortlebend in „F+F Schule für Kunst und Mediendesign“ (eine Art Schwesterschule in Zürich der Kunstschule Liechtenstein). Und Form und Farbe treffen natürlich – in spezifischer Ausprägung – auch für Bruno Kaufmann zu. Man ist beeindruckt von den stimmigen strukturellen Rhythmisierungen und hinreissend „schönen“ Farbmodulationen (in Klammern bemerkt: Schönheit wird von Kaufmann nicht gesucht, aber, wenn sie entsteht, „zugelassen“).

 

Nun aber das dritte F? Es steht für Fläche.

 

Dies mag erstaunen bei einem Künstler, der lange der Fotografie verpflichtet war und sich dieser – gerade in jüngster Zeit – wieder neu zugewandt hat. Denn Fotografie ist auf den Raum hin orientiert, auf das Referenzsystem Wirklichkeit und damit deren Wiedergabe als Illusion. Abbildung ist per se illusionär, weil sie reduziert. Z.B. drei Dimensionen auf deren zwei. Raum auf Fläche. Eben!

Der Schlüssel heisst Cézanne. Nicht umsonst ein Lieblingskünstler von Bruno Kaufmann. Der frühe Cézanne malt noch illusionistisch, wie fast alle Künstler vor ihm. Wenn er Äpfel malt, meint er Äpfel. Wenn er einen Totenkopf malt, meint er einen Totenkopf. Wenn er einen Berg malt, meint er die Montagne Ste-Victoire, die unverwechselbare Erhebung in der Provence.

 

Dann bahnt sich eine Entwicklung an. Er malt von Mal zu Mal fleckiger. Und damit flächiger. Eben! Er steigert diese der Fläche verpflichtete Malweise noch dadurch, dass er zwischen den Farbflecken kleine weisse Flächen der nackten Leinwand stehen lässt. Und will damit sagen: Seht her – ihr erblickt zwar ein Gebirge, das ihr eindeutig als Montagne Sainte-Victoire identifizieren könnt, aber diese meine Konfiguration ist auch ein Bild, offengelegt durch die freien Leinwandflecken, deklariert als Fläche.

 

Der Betrachter oszilliert zwischen dem (illusionistischen) Blick in eine mediterrane tektonische Wirklichkeit und dem Innewerden der Eigenwirklichkeit eines Kunstwerks.

 

Konsequenz für den Künstler Bruno Kaufmann. Abkehr vom Illusionismus, Zugehen straight on auf die Eigenwirklichkeit des Bildes. Als Fläche.

 

Quellgebiete der Kunst

 

Das Prinzip A=Abbild (aufgrund der Ähnlichkeit zur realen Vorgabe) ist indes nur eines der Quellgebiete von Darbietungen der Kunst, allerdings das älteste (und damit allgemein anerkannteste). Bereits in der Antike wurde Meisterschaft am Grad gelungener Mimesis (=Nachbildung) gemessen. Besonders sprechendes Beispiel der von Plinius dem Älteren geschilderte Wettstreit zwischen Zeuxis und Parrhasios: Zeuxis malt Trauben so naturgetreu, dass sie von Vögeln angepickt werden, und Parrhasios erreicht, dass sein Rivale einen Vorhang wegziehen will, der nur gemalt ist. Einen neuen Höhepunkt mimetischer Virtuosität erreichte die Malerei mit dem Genre des Trompe l’oeil (bezeichnenderweise) in der Renaissance. Seit dem Aufkommen der Photographie wurden indes Modellvorgaben der Wirklichkeit immer mehr in Richtung des Prinzips E=Eigenwirklichkeit des Bildes – z.B. im Kubismus und der abstrakten Kunst – verarbeitet.

 

Es gibt nun aber seit dem 20. Jahrhundert noch ein seither fast ebenso wichtiges zweites Einzugsgebiet der Kunst: das Prinzip Ü=Übernahme. Ein Gegenstand aus der Wirklichkeit wird nicht abgebildet, sondern direkt in das Kunstwerk übernommen: vom Readymade Duchamps über die Oliventröge Beuys’ bis zur Land Art von Richard Long. Auch hier sind verschiedene Bearbeitungsschritte möglich, um schliesslich zu einem Endergebnis Eigenwirklichkeit des Kunstwerks zu gelangen.

 

Bei Kaufmann werden allerdings weniger spektakuläre Objekte als Steinkreise, Schlitten und Wolldecken in das Kunstwerk einbezogen: es sind Bahnen von gelochtem Blech, von Filz oder Wellkarton – im kunstvollen Zuschnitt auf eine elementare, und damit reduzierte, Form. Auch Farbe wird nur reduziert angewendet: als monochromen Anstrich oder eingefärbtes Material. Es entsteht ein originärer Assemblage als Eigenwirklichkeit von Kunst – und gleichzeitig ein Hommage an die Arte povera und die Minimal Art.

 

Zu eng verstanden würden indes diese Kunstwerke als schiere Anlehnung an die Konkrete Kunst. Trotz gewissen Gemeinsamkeiten geht es bei Kaufmann vorrangig um die Zelebrierung der Fläche und weniger um das prononcierte Ausspielen von Farbe und Form.

 

Und dies aber mit einer Sicherheit und Intuition, die sich nur vordergründig z.B. als Transzendierung des Goldenen Schnittes durch Fibonacci-Zahlen analysieren und beschreiben lassen. Solch stimmige Einfachheit kann nur durch fortwährend geübte Meisterschaft erreicht werden. Dies erinnert spontan an die Geschichte vom chinesischen Kaiser und dessen Lieblingskünstler.

 

Bruno Kaufmann und der Kaiser Chinas

Es was einmal ein Kaiser in China, der vom Ehrgeiz beseelt war, das schönste Bild der Welt zu besitzen. Zu diesem Behuf liess er den begabtesten Künstler des Reiches an seinen Hof kommen. „Male mir das Bild eines Hahns. Damit dein Bild das vollendetste Kunstwerk aller Sammlungen werden kann, gebe ich dir ein ganzes Jahr Zeit.“

 

Nach einem Jahr trat der Künstler vor den Kaiser, mit leeren Händen. „Ich brauche nochmals ein Jahr.“ Ungern willigte der Kaiser ein.

 

Nach Ablauf des Jahres wiederholte sich die Szene. „Um dem hohen kaiserlichen Anspruch zu genügen, benötige ich abermals ein Jahr.“ Unwillig entgegnete der Kaiser:


„Entweder du bringst mir nach Ablauf dieses dritten Jahrs das Bild, oder du wirst geköpft.“

 

Als auch dieses Jahr vorbei war, trat der Künstler wiederum vor seinen Kaiser. Demütig; in seiner Hand ein leeres Blatt.

 

Und schon wollte der Kaiser zu seinem letalen Richtspruch ausholen, da nahm der Künstler den Pinsel und tuschte in wenigen Strichen den schönsten Hahn auf das Blatt, den die Welt je gesehen hatte. Der Kaiser war hingerissen.

 

Dann umwölkte sich aber wieder seine Stirn: „Nun hast Du nur wenige Augenblicke gebraucht, um das verlangte Bild zu schaffen. Warum hast du mich drei Jahre lang hingehalten?“

Da führte der Künstler den Kaiser in ein grosses Ökonomiegebäude, das zum Komplex des Palastes gehörte und öffnete das Tor: Der riesige Raum war angefüllt mit Tausenden von Stapeln. Alles Blätter, auf denen der Künstler das Zeichnen des Hahns geübt hatte.

 

Wenn man das Können dieses chinesischen Künstlers in unsere pragmatische Zeit transponiert, liesse sich sagen, dass ein solcher Meister seine Malkunst „aus dem ff“ beherrscht. Schon wieder also die zwei F! Woher kommt nun diese Redensart?

 

Wikipedia gibt Auskunft: „Kaufleute bezeichnen seit dem 17. Jahrhundert feine Waren mit f (fino), ff steht für sehr fein. Wenn man also etwas aus dem Effeff beherrscht, kann man es sehr fein.“ Auch hier ist nun ein drittes f möglich – als Superlativ. Wikipedia: „f, ff und fff: feine, feinere und feinste Waren“.

 

Nun: auch für die Kunst, im Kunsthandel gibt es den Begriff fine art. Auch diese Bezeichnung liesse sich steigern: ff very fine art. Und bei Bruno Kaufmann wäre ein drittes f fällig: fff finest art.

 

Dies möchte man lautstark – ff – verkünden. Allerdings steht einem fortissimo Bruno Kaufmanns Bescheidenheit entgegen. Es sei deshalb pp gesagt, pian piano, wie es zum Understatement der Könnerschaft dieses Künstlers passt. Und zudem bei einem Geheimtipp für Sammler angemessen ist. Selten mehr trifft man in der zeitgenössischen Kunst ein so originäres Konzept in derart kraftvoll virtuoser Umsetzung.